"Der Chor kann süchtig machen"

Ein Bericht von Johannes Thomae

„Der Chor kann süchtig machen“, sagt Erik Mack. Einerseits denkt man, er muss es wissen, ist er doch schon seit vierzehn Jahren beim Männergesangsverein Brannenburg Schloss dabei. Andererseits: er ist seit Januar der Chorleiter – ein bißchen Voreingenommenheit zugunsten des Chores kann man also nicht ganz ausschließen. Aber vielleicht kommt man dem Phänomen etwas näher, wenn man sich den Chor bei einem Auftritt mal näher anschaut und anhört. Dessen Frühjahrskonzert, das er übrigens in diesem Jahr zum dreißigsten Mal abhielt, bot dazu unlängst die passende Gelegenheit.

 

Auch die Veranstaltung in der voll besetzten Brannenburger Wendelsteinhalle ergibt zunächst aber ein doppeltes Bild. Einerseits hat das Publikum das Durchschnittsalter des Chores, also um die fünfundsechzig, Tendenz eher nach oben. Ganz so halt, wie man es von einem Volksmusikabend erwarten würde - der ist üblicherweise nichts, was die Jungen aus dem Haus lockt. Andererseits: die Gastgruppen, die an diesem Abend mit auftreten, der Falkenstoaner Dreigsang, die vier jungen Hinterberger, die Pasterkopf Musi sind allesamt junge Leute in ihren Zwanzigern und Dreißigern. Anna und Rebekka, das Duo am Hackbrett, sind gar erst beide neun Jahre alt. Und auch der Chor wirkt all der Jugend gegenüber gar nicht altbacken, er klingt so frisch und jung wie die anderen

 

Vielleicht die Vorbehalte nur Vorurteile? Die sich deshalb hartnäckig halten, weil viele jüngere zu Veranstaltungen, in denen es um besinnlichere Volksmusik geht, gar nicht erst hingehen und deshalb nie darauf kommen können, dass ihnen dadurch etwas entgeht? Und man erst auf den Trichter kommt, wenn man sich - wie die jungen Musikanten -  einmal darauf eingelassen hat, aus welchen Gründen zunächst auch immer?

Erik Mack würde das sicher unterschreiben. Er schaute beim Chor mehr aus Gefälligkeit gegenüber Vater und Schwiegervater vorbei, die beide mitsangen, denn aus innerem Antrieb. Zwar war ihm Singen noch aus den Zeiten des Schulchores nicht fremd, aber mit Volksmusikliedern hatte er soviel nicht am Hut. Die große Überraschung für ihn aber: das, was man singt, ist für den Spaß, den man der Sache abgewinnen kann, nicht wirklich ausschlaggebend. Faszinierend ist etwas anderes: wie aus einer Einzelstimme, die oft gar nicht so toll ist, jedenfalls nicht so, dass man auf die Idee käme, irgendwo etwas alleine zum Besten zu geben, zusammen mit den anderen etwas wird, das leicht ist und schwebt und dennoch Fülle hat und Klang „Man kommt diesem Erlebnis nicht aus“, sagt Erik Mack, „und es  berührt einen sehr, völlig unabhängig vom Text des Liedes“.

Und noch etwas hat er festgestellt: man kann in die Chorprobe hineingehen wie man will, abgeschlagen, müde, mit größeren oder kleineren Sorgen behängt – wenn man rauskommt ist von dem vorherigen Gefühl „Wenn ich jetzt könnte, wie ich wollte, würd ich daheimbleiben“ rein gar nichts mehr übrig, man erinnert sich kaum, dass man es hatte. Das Schöne daran: dies ist, sagt Erik Mack, keine Einbildung, denn Singen ist eine durchaus körperliche Betätigung bei der verständlicherweise das Atmen eine ganz wichtige Rolle hat. Richtiges Atmen aber ist nachgewiesenermaßen geradezu eine Wunderwaffe für mehr Vitalität und gegen weniger Stress. Vielleicht liegts ja wirklich daran, dass Sänger oft alt werden und dabei rüstig bleiben – auch der Brannenburger Chor hat in Gotthold Schiffmann jemand, dem man seine 88 Jahre beileibe nicht ansieht und der auch nach wie vor voll dabei ist.

Ein bisschen eine Rolle beim Erholungspotential des Chores spielt sicher auch, dass man zwar konzentriert übt, aber nicht verbissen: es gibt immer wieder Pausen, in dem der Probenraum dann für Momente aussieht, wie die Gaststube beim Dorfwirt, es fehlten gerade noch die Karten. Wobei man aufpassen muss, keinen falschen Eindruck zu erwecken. Es gibt ja den alten Witz, in dem ein Männerchormitglied gefragt wird, wann sie denn eigentlich sängen und das - völlig verwundert ob der Frage - zur Antwort gibt: „Ja, wenn wir nach der Probe langsam heimgehen – wann denn sonst?“  So wichtig die Gelegenheit zum Ratschen bei einem Glas Bier oder Spezi auch ist – hingehen tun alle in erster Linie schon wegen des Singens und da gibt es, wie Erik Mack meint, durchaus viel zu tun, auch wenn oder gerade weil alle alte Hasen sind: Viele der Lieder hat der Chor seit Jahren schon im Repertoire, sie dennoch neu und unverbraucht klingen zu lassen, bedeutet oftmals nicht weniger Aufwand als das Einstudieren neuer Stücke. Und in beiden Fällen geht es um Dynamik, um das Wechselspiel zwischen Laut und Leise, das schwerer zu verwirklichen ist, als man sich als Laie denkt. Der Chor hat da durchaus einen Anspruch und mittlerweile auch einen Ruf zu verlieren, ist, wie Erik Mack sagt, zum Beispiel auch einer, bei dem immer auch jede Textzeile wirklich zu verstehen ist, was durchaus nicht immer der Fall ist.

Wen es jetzt reizt, einmal auszuprobieren, ob das Mitsingen nicht etwas für ihn wäre – der Chor übt jeden Donnerstag im Brannenburger Vereinsheim. Dabei, so Erik Mack, solle man etwaige Zweifel, ob die eigene Stimme den Ansprüchen eines guten Chores genüge, gar nicht erst hochkommen lassen. Man hat, so Erik Mack, bislang noch nie jemand wegen Unmusikalität abweisen müssen. Schlimmstenfalls würde man ihn bitten, doch einfach ein klein wenig leiser zu singen.

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